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Im Gedenken an die Opfer des
Nationalsozialismus.

Sog nit kejnmol
Sog nit kejnmol, as du gejsst dem leztn weg,
chotsch himlen blajene farschteln bloje teg,–
kumn wet noch unser ojssgebenkte scho,
ess wet a pojk ton unser trot – mir sajnen do!
Hirsch Glik

Sage niemals
Sage niemals, du gehst den letzten Weg,
wenn auch bleierner Himmel den blauen Tag verdeckt.
Unsere ersehnte Stunde wird kommen,
unser Schritt wird dröhnen – wir sind da!
Hirsch Glik

In wölfischen Zähnen
Ich trag mein schafenes Leben in wölfischem Gebiß
und hab wie ein Wolf Feindschaft und Bitternis.
Es gehen meine Wochen wie Holzhacker müd
und schlagen Äste in mein krankes Gemüt.
Mir kommen Gedanken wie Trauernde vom Feld
und trauern tief in mir über das Los der Welt.
Als rette man ein Kind mit starker Hand
auf hoher Leiter aus dem Feuerbrand,
so übergeben sich schlaflose Nächte meiner Tage.
Ein Wolf aus dem Käfig, möcht ich zum Walde hin jagen.
Es klingen in mir schneeige Kuppeln bei Nacht,
sie schreien wie Vögel auf nackten Feldern: Erwacht!
Wach ich und meine: die Welt kommt vom Kreuze hernieder –
doch Finsternis löscht alle meine Hoffnung wieder.
Selbst schwach, seh ich meine Generation in Nöten und Schand
und hasse mich, wie ein Mann seine vertrocknete Hand.
Chaim Grade

Zwischen zwei Schornsteinen
Wie die Erinnerung an den Totenengel schwimmt der Mond rasch den Ruinen einer schwarzen
Gasse zu und bleibt zwischen den Schornsteinen hängen.
Lange, siedende Schatten quellen aus ihren Adern, wie schwarzes Blut aus einem erschlagenen
Pferd, und sie schmelzen den Schnee unter sich bis auf das Pflaster.
Ein Mensch taucht aus einem Schornstein auf, wie eine Wildente aus dem dunklen Wasser:
– Schejn-de-le!
Aus dem Schornstein auf der anderen Seite der Gasse kriecht ein zweiter:
– Tsal-ke!
– Schejndele, wir müssen leben.
– Ja, Tsalke. Wie lange liegen oder stehen wir schon in diesen Schornsteinen?
– Nicht lange. Im ganzen drei Monde. Ist dir kalt, Schejndele?
– Kalt? Wenn der Mond scheint, sieht der Ruß auf mir aus wie ein Silberfuchs.
Vor der Kälte habe ich

keine Angst. Sie sollen nur unten im Haus nicht einheizen.
Mir scheint, Funken steigen aus den

Schornsteinen … – Niemand wohnt in dieser schwarzen Gasse. Und die Funken sind Sterne.
Glückssterne.
– Nein, Tsalke, Sterne sind kalt, und die Funken –
heiß stechend. Heiß wie Küsse, ja, nur viel gefährlicher.

– Schejndele, an wen denkst du, laß uns offen sein Ich habe selbst gesehen
– Wenn man sich küßt, sieht man nichts, wie hast du da gesehen?
– Neben der Grube
Ehe wir geflohen sind, ehe wir uns in den Schornsteinen versteckt haben, hast

du jemandem zugelächelt, und wie du ihm zugelächelt hast, wer ist es?
– Oh, Tsalke, eifersüchtig in einem Schornstein Gut, ich werde es dir sagen, es war –

Der Widerhall eisenbeschlagener Stiefel hackt den Satz ab.
In den beiden Schornsteinen, über der schwarzen Gasse, einander gegenüber, verschwinden die Gesichter.
Abraham Sutzkever

Ich bin ein Baum
Ich bin umgebrochen,
ich – ein Baum im Frühling,
und der Strom hat mich
hinweggetragen
mit den wilden Wassern.
Er wird mich auswerfen an einem sonnigen Ufer,
das zu dir gehört
und deiner Familie.

In den Mondnächten
wirst du dich setzen auf mich
und träumen
den Traum deiner Liebe.
Und wenn der Herbst kommt und ich werd trocken sein
von Sommer –
wirst du mich heißen zerhacken.

Und winterabends
bei knackendem Frost
werd ich brennen
in deinem Ofen,
und süß wirst du sitzen
in einem weichen Stuhl
und dich wärmen
an meinem Feuer.
Leiser Wolf

Ausgehungerte Hunde und Katzen
Friedlich schläft Wilna; und – scheinbar – ganz friedlich schläft lange das Ghetto,
Und auch drei Tote im Hof liegen in friedlichem Schlaf.
In den Verstecken im Ghetto verhungern zwei Greise ganz friedlich.
Wer hat noch Angst vor dem Tod, wenn er die Mörder nicht sieht?
Bleich scheint der Mond in zerfallenen Gassen auf blutige Pfützen,
Und mit fast hörbarer Gier lecken die Tiere vom Blut.

Manchmal, im Schutze der Dunkelheit, schleichen Gestalten wie Schatten,
Und wenn ein Söldner sie sieht, kracht es nicht lang – dann ist’s still.
Mütter versuchen, die Kinder zu finden; ein Kind sucht die Mutter,
Und in dem Walde, zerfetzt, liegen sie Leib bald an Leib.
Aber es ruht jetzt das Ghetto ganz friedlich; und graut dann der Morgen,
leckt ein gefräßiges Tier Blut, das noch frisch ist, im Hof.
Hermann Adler

Der Tod bei Wilna am Jom Kippur
Hundert stehen auf dem Richtplatz, und da gibt es kein Entweichen,
Kalkbegossen in den Gräben liegen Leichen neben Leichen.
Niemand wird Selichot sagen, keiner steht im Sterbekleide,
Betend noch an Sühne denken –, und Versöhnungstag ist heute.

Hundert stehen hier und graben, von den Söldnern dicht umschlossen,
Wo sie tot zu liegen haben, und dann werden sie erschossen.
Einer ruft: »Ihr werdet, Henker, selber noch des Henkers Beute!
Gott, vergib mir, daß ich fluche –, und Versöhnungstag ist heute.«

Heute ist Jom Kippur, Brüder! Keiner wird ihn überleben!
Gott und Menschen mögen wieder, wenn wir schuldig sind, vergeben,
Wie wir anderen auch vergaben. Lange offen liegt der breite
Frischgestochne Leichengraben –, und Versöhnungstag ist heute.
Hermann Adler

Inschrift auf einem Waggonbrett
[…]
Ich trag mit mir einen roten Ziegel,
der schwarz beschrieben ist mit Ruß:
schon brennt der Turm an beiden Flügeln,
verflogen ist mein letzter Schuß.

Es bleibt mir nur der Sprung vom Dach.
Du siehst mich, Volk, in letzter Glut –
o halte mein Gedächtnis wach,
ich heiß: Der unbekannte Jud.

Der du vorbeigehst, steh! Bei dieser Wand
hab ich verteidigt dich, du Unbekannter
und schrieb dir dies, vom Tode kaum ein Haarbreit
entfernt. Berühr die Worte mit der Hand,
denn sie sind Adern. Trittst du nah zur Wand her,
dann hörst du es: in ihnen pocht die Wahrheit.
Abraham Sutzkever

Dremlen fejgl ojf di zwajgn
Dremlen fejgl ojf di zwajn,
schlof majn tajer kind.
Baj dajn wigl ojf dajn nare
sizt a fremde un singt:
lju-lju, lju-lju, lju.

‚Ss is dajn wigl wu geschtanen
ojssgeflochtn fun glik,
un dajn mame, oj dajn mame
kumt schojn kejnmol nit zurik.
Lju-lju, lju-lju, lju.

‚Ch hob gesen dajn tatn lojfn
unter hogl fun schtejn,
iber felder is geflojgn
sajn farjossemter gewejn.
Lju-lju, lju-lju, lju.
Lea Rudnitzki

Auf den Zweigen schlummern Vögel
Auf den Zweigen schlummern Vögel,
schlaf mein teures Kind.
Bei deiner Wiege auf der Pritsche
sitzt eine Fremde und singt:
Lju-lju, lju-lju, lju.

Deine Wiege stand irgendwo
geflochten aus Glück.
Doch deine Mutter, oh deine Mutter,
kommt niemals mehr zurück.
Lju-lju, lju-lju, lju.

Ich habe deinen Vater laufen gesehen
unter einem Steinhagel.
Sein verwaistes Weinen
flog über die Felder.
Lju-lju, lju-lju, lju.
Lea Rudnitzki

Lena hing noch an meinem Arm

Die Straße zum Fort führte unentwegt bergauf. Es war ein anstrengender Anstieg. Lena hing sich fest an mich und weinte um ihre Mutter. Trotz der Kälte war ich bald schweißgebadet. Vor uns wand sich eine endlose Schlange Menschen den Berg hinauf. Anfangs gingen wir zu viert oder fünft in einer Reihe, doch jeder war so müde und so schwach vor Hunger, daß die Reihen sich bald auflösten. Ich ließ mich zurückfallen und zog Lena mit mir. Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe. Ich wußte, daß Flucht unmöglich war, aber ich wollte den Tod so lange aufschieben, wie es nur ging. Außerdem schienen Lena alle Kräfte verlassen zu haben. Sie konnte kaum noch laufen. Immer wieder bekam ich Schläge auf den Rücken, aber ich habe es nicht einmal gespürt. Auf beiden Seiten der Straße standen Wachposten, alle bewaffnet. Von Zeit zu Zeit hörten wir Schüsse. Dann fuhr jedesmal ein Lastwagen vor, um die Toten wegzuschaffen. Ich sah mich nach bekannten Gesichtern um, aber da waren nur Fremde. Niemand sprach. Sogar die Kinder waren still. Überall der Geruch von Angst und Tod.

Dann entdeckte ich doch noch jemanden, den ich kannte. Es war Jablonsky, mein alter Mathematiklehrer. Er war zum Skelett abgemagert. »Gib mir deine Hand, Kuki«, sagte er, »ich fürchte, ich bin am Ende.« Es war schon beinahe Abend, als wir das Fort erreichten. Die Mauern waren alt und dick. Darin waren kleine vergitterte Fenster. Lena schluchzte und versuchte sogar zu beten. Ich war aufgewühlt. Der tiefste, wesentlichste, stärkste Instinkt in uns ist der Überlebensinstinkt. Vergiß, was die Dichter sagen. Wenn es ans Sterben geht, zählt nichts mehr. »Weint nicht, Kinder«, hörte ich Jablonsky sagen, »laßt uns ihnen diese Befriedigung nicht geben. Laßt uns mit erhobenen Köpfen sterben.«

[…]

Auf Befehl des Offiziers gingen Deutsche und Litauer auf uns los. »Lauft, lauft, ihr Judenschweine«, riefen sie und schlugen uns mit Stöcken und Gewehrkolben. Die Hunde stürzten sich auf die Langsamen und rissen ihnen das Fleisch aus Beinen und Gesäß. In wilder Panik begannen wir zu rennen, die Wachen und Hunde hinter uns her. Man konnte sehen, wie die Körper dampften, als sie uns um die Mauer jagten. Dann bogen wir um die Ecke und sahen Dutzende und Aberdutzende von Maschinengewehren rings um ein offenenes Feld aufgestellt. Sie feuerten in eine riesige Grube. Ich hörte, wie darin geschrien wurde. Ich wurde fast verrückt vor Angst. Ich wollte stehenbleiben, weglaufen, fliehen, doch eine Masse wild stürmender nackter Körper drängte sich um mich wie eine Zwangsjacke. Deutsche und Litauer mit aufgekrempelten Ärmeln und roten Gesichtern luden und schossen in die Menge. Aus ihren Gewehrläufen blitzte es gelb. Ein Schleier aus blauem Rauch trieb über dem Feld. Es war eine Höllenszene. Heisere Rufe, schrilles Frauengeschrei, brüllende Kinder und Babys, Hundegebell.

[…]

Wir hatten die Grube erreicht. Da lagen Tausende von Körpern, einer auf dem andern, die wanden sich und schrien und flehten die Deutschen an, es endlich zu Ende zu bringen. Es war die Hölle. Die Hölle.

[…]

Wir standen jetzt direkt vor den Gewehren. Kugeln zischten um mich her wie wütende Bienen, doch alles, was ich spürte, war das Gedränge hinter mir. Ich bemerkte, wie ich fiel. Lena hing noch an meinem Arm. Sie hatte mich gepackt mit einer unheimlichen Kraft. Entsetzen lag in ihren Augen. Sie versuchte etwas zu sagen. Doch da kam nur ein krächzender Ton über ihre Lippen. In ihrer Kehle erschien ein klaffendes Loch. Ein Blutstrom schoß aus ihrer Brust. Dann spürte ich etwas Schweres auf meinen Kopf fallen. Das schlug mich nieder in eine gnädige Bewußsstlosigkeit.

[…]

Ich zwang mich, aufzuwachen. Doch noch bevor ich ganz wach war, erkannte ich, daß ich gar nicht wirklich aufwachen wollte. Ich versuchte, Luft zu bekommen, aber da war keine. Irgend etwas ungeheuer Schweres lag auf meinem Kopf und drückte mein Gesicht in etwas Weiches, Kaltes. Diese Rückkehr in die Wirklichkeit war die grauenhafteste Erfahrung, die man sich vorstellen kann. Denn die Wirklichkeit war, daß ich lebendig begraben war.

Kuki Kopelman

Man sucht uns
Man sucht uns. Ein Murmelgebet wäre das Ende.
Die Spürhunde – Schritte des grausigen Gotts.
Doch schützen uns nicht Nebelwände,
die uns verstecken, den Schergen zum Trotz?

Du siehst den Palast nicht der Grauheit, wo Farben
wie Kinder, erstickte, versinken in Grau.
Wir liegen dort beide wie nackte Garben,
sonst keiner, nur: ein Mann, eine Frau.

Doch kommen aus dem Nichts mir die Gier zu nippen
von roten Feuern, o ich bemerk:
aus all der Grauheit erblühn deine Lippen.
Doch wer hat erschaffen das purpurne Werk?

Es hat sie erschaffen der Nebel!
Er teilt sich, und sieh, wie er uns von den Leibern rinnt.
Mein Mund, nach seiner Natur, beeilt sich,
den andern zu lieben trunken und blind.
Abraham Sutzkever

Mir lebn ejbik
Mir lebn ejbik, ess brent a welt,
mir lebn ejbik on a groschn gelt,
un ojf zupikenisch di ale ssonim
woss wiln uns farschwarzn unser ponim:
Mir lebn ejbik, mir sajnen do,
mir lebn ejbik, in jeder scho,
mir weln lebn un derlebn,
schlechte zajtn ariberlebn.
Mir lebn ejbik, mir sajnen do!
Lejb Rosental

Wir leben ewig
Wir leben ewig, es brennt eine Welt.
wir leben ewig, ohnen einen Groschen Geld,
und sollen unsere Feinde zerspringen,
die uns unser Gesicht schwärzen:
wir leben ewig, wir sind da,
wir leben ewig zu jeder Stunde,
wir wollen leben, und weiterleben
und diese schlechten Zeiten überleben.
Wir leben ewig, wir sind da!
Lejb Rosental